Ein alter Imkerspruch sagt: “Willst du Gottes Wunder sehen, musst du zu den Bienen gehn”. Darin steckt viel Wahrheit. Ob wir jetzt an Gottes Schöpfung glauben oder von den Gesetzmäßigkeiten der Evolution überzeugt sind, ist dabei nicht so wichtig. Wer auch immer sich mit Honigbienen etwas näher beschäftigt, den erfasst ein “bewunderndes” Staunen über eines der faszinierendsten Lebewesen.
Kein anderes Insekt hat eine solche Bedeutung für die Natur und auch für uns Menschen, und über kein anderes Insekt wurde und wird soviel nachgedacht, geforscht, geschrieben und diskutiert wie über die Biene. Ihr verdanken wir nicht nur Honigbrötchen, Wachskerzen, Blumensträuße, Obst und Gemüse. Sie begleitet uns von der Steinzeit bis in unsere Gegenwart.
Sie inspirierte uns zu Mythen und Märchen, lieferte philosophische und naturwissenschaftliche Erkenntnisse, sie steht für epochale Erfindungen und auch für grandiose Irrtümer. Und wer immer sich an dem Thema Bienen versucht, sagt damit auch etwas über sich und seine Zeit und seine Kultur aus. Dieses Buch will kein "Ratgeber Bienen" sein, kein Fachbuch für die Hand des Imkers und auch kein wissenschaftliches Kompendium. Ich möchte versuchen, einem sowohl naturwissenschaftlich als auch kulturell interessierten Leserpublikum ganz einfach die "Honigbiene" zu erklären. Unser Bild von unserem kleinsten Haustier resultiert ja schließlich nicht allein aus der naturwissenschaftlichen Beobachtung. In allen Erdteilen knüpft sich an unsere Honigspender eine lange und tiefe Verehrung, die weit mehr zeigt, als eine ausschließlich materielle Wertschätzung ihrer Dienste für uns und die Natur.
Unser Bild von der Honigbiene war bis zum Zeitalter der Aufklärung bestimmt von mythologischen und theologischen Vorstellungen. In der Antike sah man in ihnen das Himmelsvolk, das in direkter Verbindung mit den Göttern steht. Die symbolische Kraft der Biene machte sie zu einem göttlichen und königlichen Attribut. Göttervater Zeus trug den Beinamen “Bienenkönig”. Der Titel des Pharao von Unterägypten war Biti (bjtj), das heißt: „der von der Biene“. Sogar Napoleon Bonaparte wählte sie zu seinem Symbol, um sich von den ihm verhassten Bourboneni des Ancien Regime abzugrenzen.
Die Kirchenväter des Mittelalters sahen in ihnen ein Geschöpf, das den Menschen als nachahmenswertes Beispiel für eine gottgefällige Lebensführung gegeben wurde.
Die praktische landwirtschaftliche Literatur der Zeiten vor der Aufklärung transportierte abergläubische und theologische Vorstellungen von der Biene, die mit wissenschaftlicher Erkenntnis wenig zu tun hatten. Andererseits überlieferte sie Erfahrungen und Beobachtungen von Verhaltensphänomenen wie den Bienentanz oder die Blütenstetigkeit der Honigbiene, deren Aufklärung und Verständnis erst unserer modernen Epoche vorbehalten blieb.
Mit dem Zeitalter der Aufklärung wurden die Bienen zum Forschungsgegenstand einer sich neu entwickelnden Wissenschaft. Der allgemeine Erkenntnisdrang und die Erfindung des Mikroskops und des Skalpells haben die Lehre vom Leben von der Philosophie getrennt und die Grundlagen der modernen Biologie gelegt. Der Faszination der Forscher für die Nutzinsekten hat das keinen Abbruch getan. Im Gegenteil, die Bewunderung für diese Insekten, denen man nach und nach manches Geheimnis der Natur entlocken konnte, blieb ungebrochen. Neue Erkenntnisse über die anatomischen Besonderheiten der Nutzinsekten und ihre zentrale Bedeutung für die Fruchtbarkeit des Landes ließen sie in der Achtung der Menschen weiter steigen.
Im 20. Jahrhundert entwickelte sich mit der Verhaltensbiologie ein neuer Wissenschaftszweig. Den größten Erfolg feierte die neue Wissenschaft, als sie die seit der Antike offene Frage klärte, wie das Verhalten der Tiere gesteuert wird. Die Bienen dienten den Forschern als Modellorganismus. Karl von Frischii entdeckte die Tanzsprache der Honigbienen und wurde dafür 1973 mit dem Nobelpreis für Medizin und Physiologie geehrt. Der Österreicher legte mit seinem Forschungsansatz das Fundament für die experimentelle Verhaltensphysiologie
Im Zeitalter von Mikrochips, Genetik und Nanotechnologie liefert die Bienenforschung immer neue überraschende Erkenntnisse, die unser Bild von der Honigbiene erweitern und auch korrigieren.
Als "Praktiker" mit ein wenig Erfahrung in der Hobbyimkerei habe ich einen idealen Zugang zu dem ergiebigen Thema Bienen. Aber mein Blick auf die Bienen ist ausdrücklich nicht nur der Blick durch den Imkerschleier. Hinter dem Imker, der sich für die Bienenhaltung und die Honigproduktion begeistert, stehen auch der naturwissenschaftlich interessierte Laie, den die Anatomie und die Verhaltensbiologie der Nutzinsekten faszinieren, und der Germanist und Philologe, dem schnell klar geworden ist, dass unser Verständnis der Honigbienen ohne die kulturgeschichtliche und kulturelle Betrachtung ganz entschieden unvollständig wäre.
Um diese drei Ansichten der Honigbiene nebeneinander darstellen zu können, habe ich die Literaturform des "Essays" gewählt. Ich hoffe damit einen unterhaltsameren und öffentlich wirkungsvolleren Ton zu treffen, als es die fachwissenschaftliche Literatur oft tut.
Der Tagespresse traue ich in Sachen "Bienenberichterstattung" nicht allzu viel zu. Schlagzeilen wie: "Summ mir das Lied vom Tod" oder "Der stille Tod der Bienen gefährdet die Zukunft der Menschheit" oder "Bienensterben vernichtet bis zu 300 Milliarden Euro" wirken bedrohlich apokalyptisch und fördern die Auflage. Dem Anliegen der Imker, Wissenschaftler und Ökologen, das allgemeine Wissen über die Honigbiene zu verbreiten und so das für den Erhalt der Spezies notwendige ökologische Engagement zu fördern, dient das nicht unbedingt.
Natürlich muss man sich in Bezug auf das diskutierte Bienensterben berechtigte Sorgen machen, und ich will auch nichts verharmlosen. Aber eine reale Katastrophe kann vermieden werden, solange es noch eine gewissenhafte Imkerei gibt und man den Kampf um naturnahe und artenreiche Landschaften nicht aufgibt. Panik führt zur Kurzschlussreaktion, zu unsinnigem Aktionismus, zu gesellschaftlichen Ängsten und nicht zu einer nachhaltigen Lösung von Problemen.
Ich will dazu beitragen, dass wir ein differenziertes, vielschichtiges Bild von der Honigbiene gewinnen und dadurch mehr Empathie für "unser kleinstes Haustier" jenseits vom Biene-Maja -
Kitsch entwickeln. Kaum ein anderes Wesen kann uns unsere Abhängigkeiten von einer intakten Umwelt deutlicher machen als die Honigbiene. Nur wenn wir der Entfremdung des Menschen von der Natur wirkungsvoll entgegenwirken, werden wir die natürlichen Lebensgrundlagen aller Geschöpfe dauerhaft erhalten. Weil es stimmt, dass wir nur das lieben können, was wir kennen, drängt es mich, davon zu berichten, was man von Menschen über Bienen und von den Bienen über Menschen lernen kann.